Schnelltest: Der Gender-Baukasten von dpa & Co.

Im Sommer 2021 haben die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen AFP, APA, dpa, epd, Keystone-sda, KNA, Reuters und SID in einer gemeinsamen Stellungnahme angekündigt, „diskriminierungssensibler zu schreiben und zu sprechen“.

Das generische Maskulinum werde in kompakter Nachrichtensprache noch vielfach verwendet, solle aber schrittweise zurückgedrängt werden. „Ob die Nachrichtenagenturen in einigen Jahren ganz darauf verzichten können, hängt von der weiteren Entwicklung der Sprache ab.“

Genderstern, Unterstrich und Doppelpunkt wird man bis auf Weiteres vergeblich suchen in dpa-Texten, aber: „Viele andere Möglichkeiten zur Vermeidung diskriminierender Sprache und zur Sichtbarmachung von Diversität sind konsequent zu nutzen“.  

Die Nachrichtenagenturen wollen die Entwicklung der Sprache in den nächsten Jahren gemeinsam beobachten, heißt es in der Stellungnahme, und regelmäßig neu bewerten.  

Also dann, die Beispiele der Agenturen für diskriminierungssensible Formulierungen, sind ein guter Anfang – sozusagen ein Schweizer Taschenmesser der Sprache, mit dem sich schon viel ausrichten lässt. Wie bei dem Messer gibt es allerdings Zielkonflikte: Man kriegt fast alles irgendwie hin, aber schön oder gar elegant wird das Arbeitsergebnis nicht. Muss es auch nicht immer, schon gar nicht bei kompakten Nachrichtentexten. Es lohnt sich aber trotzdem, einen Blick auf die Vor- und Nachteile der Werkzeuge im Gender-Baukasten zu werfen.

1. Doppelformen/Paarformen

Z.B.: Schülerinnen und Schüler.  Geht oft, aber nicht immer gut. Es gibt Gruppen, die bestehen rein logisch (wenn auch nicht grammatisch) so zwingend aus Angehörigen aller Geschlechter, dass die Doppelform lächerlich wirkt: Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Einwohnerinnen und Einwohner, eigentlich auch das im Politsprech schon vor den aktuellen Genderdebatten einführte „Bürgerinnen und Bürger“. Außerdem, wenn man ganz streng ist: Diese Paarformen sind binär, also nicht 100 Prozent diskriminierungsfrei.

2. Geschlechtsneutrale Pluralformen

Z.B.: die Feuerwehrleute, die Angestellten, die Pflegekräfte, die Fachkräfte, die Lehrkräfte.
Super, wann immer es geht. Geht leider nicht immer.

3. Substantivierte Partizipien

Z.B.: die Studierenden.
Geht fast immer, ist aber im Vergleich zu den ersten beiden Instrumenten störender, weil unnatürlicher. Ganz streng genommen oft nicht korrekt, weil diese Partizipform ausdrückt, dass jemand etwas in diesem Moment ist. Studierende sind Studierende, wenn sie gerade eine Seminararbeit schreiben oder ein schlaues Buch lesen. Wenn sie danach zur Entspannung ins Schwimmbad gehen, sind sie nicht mehr Studierende, sondern Schwimmende, Sonnenbadende, Eisessende oder gar Turmspringende. Es kann sein, dass diese eigentliche Bedeutung des Partizips irgendwann verschwindet wie Konjunktiv und Genitiv – und abgesehen von dünkelhaften Bildungsbürgern niemand sie vermisst. Davon geht die Welt nicht unter, aber die Sprache wird ärmer.

4. Sache statt Person

Z.B.: das Fachgremium, die Redaktion, die Teilnahmeliste.  
Super, wann immer es geht. Geht leider nicht immer.

5. Neutrale Funktionsbezeichnung

Z.B.: Vorsitz, Leitung, Personal, Personalvertretung, Direktion, Team, Belegschaft.  
Oft eine gute Alternative. Wo es auf eine Substantivierung mit -ung hinausläuft, ist der Preis für mehr Genderneutralität aber eine Lösung, von der Stilratgeber abraten.

6. Syntaktische Lösungen

Z.B.: Wer raucht, hat eine kürzere Lebenserwartung. (Statt: Raucher haben eine kürzere Lebenserwartung.) Alle, die dieses Programm nutzen (statt: alle Nutzer dieses Programms).  
Mit diesem Instrument lässt sich verblüffend viel erreichen. Gegen Beispiel Nr. 2 der Agenturen ließe sich wie unter Punkt 1 sagen: „Nutzer“ ist wie „Einwohner“ so abstrakt, dass man es nach meinem Empfinden auch einfach in der männlichen Form verwenden kann, ohne dass es so aufstößt, wie wenn man von Chefs, Politikern, Wissenschaftlern spricht, ohne sich um Geschlechterneutralität zu bemühen.

7. Plural statt Singular

Z.B.: alle, die… (statt: jeder, der…).  
Top.

8. Umschreibung mit Infinitiv

Z.B.: Der Antrag ist vollständig auszufüllen. (Statt: Der Antragsteller muss das Formular vollständig ausfüllen.)
Grammatisch ok, aber auch in diesem Beispiel stellt sich die Frage, ob das Bemühen um genderneutrale Ausdrucksweise jede anderweitige sprachliche Scheußlichkeit rechtfertigen kann.

9. Partizip Perfekt

Z.B.: herausgegeben/betreut von (statt: Herausgeber/Betreuer).  
Klar!

10. Adjektiv statt Substantiv

Z.B.: der ärztliche Rat (statt: der Rat des Arztes).
Auch das.    

Fazit

Hilfreiche Werkzeuge für den Anfang und wenn es schnell gehen soll. Werden sie aber gedankenlos nach Schema F angewendet, können sie Texte auch verschlimmbessern. Es gibt oft intelligente und elegante Wege zu mehr sprachlicher Diversität, die sich simplen Baukastenregeln entziehen.

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